Wenn die Bibel das Wesen “Mensch” beschreibt, sind folgende Begriffe von zentraler Bedeutung:

• näphäsch – „Seele“: Der Mensch ist ein bedürftiges Wesen.
• basar – „Fleisch“: Der Mensch ist ein leibliches und damit begrenztes Wesen.
• ruach – „Geist“: Der Mensch als ein mit Kreativität und Tatkraft befähigtes Wesen.
• leb – „Herz“: Der Mensch ist ein vernunftbegabtes Wesen.

Unter diesen vier Blickwinkeln wird immer der Mensch in seiner Ganzheit betrachtet. In Teil 1 vor einem Jahr wurden näphäsch und basar näher beschrieben. Hier folgen nun ruach und leb.

ruach – der ermächtigte Mensch
ruach bedeutet sehr konkret «Wind, auch fliessender Atem». Während näphäsch als «Kehle» das Atemorgan meint, ist ruach die von Gott gegebene «Atemluft», die schöpferische Lebenskraft Gottes, durch die der Mensch lebendig wird (Ps 104,29f.) und durch die er Willens- und Tatkraft hat (Spr 18,14). Das schliesst auch die schöpferisch-kreative Seite des Menschen ein. Als ruach erfährt sich der Mensch als schöpferisch tatkräftig, er ist ermächtigt, das Leben zu gestalten. Der Aspekt ruach gehört nicht ausschliesslich zum glaubenden Menschen, sondern zum Menschen als Geschöpf. Dennoch kann ruach nur von Gott her vollumgänglich verstanden werden, denn ruach ist doppelt oft in Bezug auf Gott ausgesagt wie vom Menschen. Als Glaubender erkennt der Mensch: Dass er lebendig ist, das Gute will und in Vollmacht wirken kann, kommt nicht aus ihm selbst.

Und gerade als Glaubender erkennt der Mensch auch, dass er eben nicht nur ermächtigt (ruach), sondern zugleich auch begrenzt und hinfällig ist (basar). In aller Deutlichkeit stellt dies der Prophet Jesaja vor Augen (Jes 31,3): «Ägypten ist Mensch und nicht Gott. Seine Rosse sind Fleisch (basar) und nicht Geist!», wer sich auf Fleisch verlässt, wird zu Fall kommen. Gott dagegen ist nie basar. Gottes Treue, seine Gnade und Wahrheit stehen in direktem Gegensatz dazu: «Auf Gott hoffe ich und fürchte mich nicht, was kann basar mir tun?» (Ps 56,5, vgl. 2Chr 32,8). Als basar scheitert der Mensch auch darin, beständig im Willen Gottes zu bleiben. Doch Gott gibt den Menschen nicht auf, er verheisst einen neuen Geist (Ez 36,26f., vgl. Ez 11,19): «Ich will euch ein neues Herz geben und eine neue ruach in euch geben […]. Ich will meine ruach in euch geben und solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln und meine Rechte halten.» Die neue ruach, die Gott verheisst, ist die ruach Gottes selbst. Und dieser göttliche Geist nimmt in uns Wohnung (1Kor 6,19), durch ihn ist Christus in uns präsent (Gal 2,20).

leb – der vernunftbegabte Mensch
leb wird meistens mit «Herz» übersetzt. leb kann ganz konkret das verborgene innere Organ meinen, das flattern oder rasen oder schmerzen kann. leb ist deshalb auch mit Gefühl und Wunsch verbunden (Jer 4,19; Spr 15,13; Ps 21,3).
Vor allem steht es aber für die rationalen Aspekte, die wir heute dem Kopf, bzw. dem Hirn zuordnen: nämlich das vernünftige Denken, die Gesinnung des Menschen. Mit leb wird der Mensch als ein Wesen beschrieben, dass erkennen, denken, abwägen und Pläne schmieden kann.
Das Trachten und Planen des Menschen ist unergründlich und verborgen in seinem «Herzen» (Ps 44,22). Während der Mensch nur sieht, was vor Augen ist, sieht Gott das Herz an (1Sam 16,7). Des Menschen Herz plant seinen Weg, Gott aber lenkt seinen Schritt (Spr 16,9).
Wenn Maria alle Worte in ihrem Herzen bewegt, dann denkt sie über die Worte nach und behält sie in ihrem Gedächtnis (Lk 2,19, vgl. Dan 7,28). leb ist auch der Ort der Erkenntnis und des Wissens: Wenn Simson sein ganzes Herz kundtut (Ri 16,15), dann gibt er sein ganzes Wissen preis. Das Volk soll den HERRN, seinen Gott, von ganzen Herzen lieben (5Mo 6,5). Mit seinem ganzen Sinnen und Trachten ausgerichtet sein auf Gott. Doch wenn der Wein dem Volk Israel das Herz nimmt (Hos 4,11f.), dann ist das Volk orientierungslos und trifft die falschen Entscheidungen, indem es anderen Göttern nachläuft.
So überrascht es nicht, dass zur Verheissung des neuen Geistes auch die Erneuerung des Herzens gehört (vgl. Ez 36,26f.).

leb wird fast ausschliesslich dem Menschen zugeordnet, in Bezug auf Gott wird nur selten vom «Herzen» gesprochen. Doch einem Wort über die unfassbare, unergründliche Tiefe des Erbarmens Gottes geht es um sein «Herz». Während Hosea dem Volk das Gericht Gottes ankündigen muss, weil nichts das Volk zur dauerhaften Umkehr bewegen konnte (Hos 11,1-7), geschieht ein Wunder (Hos 11,8-9)! Es findet eine unfassbare Wende in Gottes Herzen statt:

Wie könnte ich dich preisgeben Ephraim…
In mir hat sich mein Herz umgedreht, mein Erbarmen entbrennt mit Macht.
Nicht vollstrecke ich meinen glühenden Zorn…
Denn Gott bin ich, nicht ein Mensch!

So verheisst Hosea, was durch Jesus Christus für alle Völker besiegelt worden ist. In ihm wird das unermessliche Erbarmen Gottes Fleisch und Blut (Joh 1,14):

Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir schauten seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.