„Scherben bringen Glück“ necken wir denjenigen, dem ein Alltagstrinkglas auf den Steinboden fällt. Schnell sind die Scherben zusammengewischt. Beim nächsten Ikea-Besuch kaufe ich dann wieder mal neue passende Gläser. Wenn aber Liebe mit einem mir bedeutsamen Porzellanstück verbunden ist, trifft mich das gleiche Missgeschick zutiefst. Andere staunen, dass mich dieses doch schon abgeschlagene Geschirr nun so sehr reut. Dieses für andere unscheinbare Gefäss hat mir viel bedeutet. Es ist eine besondere Geschichte damit verbunden. Ich liebte es und darum ist es schön für mich. In der Beratung sitzt ein Paar, dessen Beziehung durch „menschliche Fehlgriffe“ (nennen wir es Versagen oder Sünde) zerbrochen ist. Sie erleben eine Beziehungsstörung und kommen in die Beratung. Es ist mehr als ein Alltagskonflikt, der sie hierherführt. Nun treibt sie die Frage um: „Ist unsere Beziehung noch zu retten?“.
Und genau hier flammt meine durch den bcb-Lehrgang gewonnene Begeisterung für die Arbeit mit Paaren auf. Als Eheberater bin ich nicht Richter, Ankläger oder Strafverteidiger von ihm oder ihr, sondern Anwalt der Wertschöpfung ihrer Ehe. In meinem Beratungsbüro ist ein „Naturschutzgebiet für die Seele“. Das Aushalten von mir als Berater ist in sich schon wohltuend für die Beiden. Ehe ist ein Learning by Doing. Die Ehe ist die grösste Selbsterfahrung, die ich machen kann. Sie ist anstrengend. Aber ich erwerbe mir in dieser Hochschule stufenweise soziale Kompetenzen. Das besagte Paar mir gegenüber äussert, dass sie sich nicht scheiden lassen wollen. Ob ich ihnen dazu helfen könne? Wichtigste Frage ist jedoch: „Was wollen Sie denn investieren, dass es gelingt, sich nicht scheiden zu lassen?“ Dass dieses Paar hier ist, zeigt, dass sie um ihre Ehe kämpfen wollen. Vielleicht ihretwegen oder wegen der Kinder. So darf ich „Geburtshelfer“ sein. Dabei helfen, dass da etwas entsteht, das zu leben beginnt. Die Wehen durchstehen, drücken und pressen müssen die Beiden. Sie gehen mit der „Geburt“ nach Hause und in die gemeinsame Zukunft. Ich unterstütze „nur“ den Vorgang dorthin. Nachher mit ihrem Kind leben, das müssen sie selber. Das macht Eheberatung so spannend. Nicht immer erfolgreich, im Sinne, dass zwei völlig verschiedenartige Menschen es gemeinsam packen. Doch ich darf Wissen und Tools anbieten, damit die Frage: „Ist unsere Ehe noch zu retten?“ mit JA beantworten kann. Die Beziehung dieses Paares ist gestört. Noch ist ihre Beziehung nicht erkrankt oder sogar in der Konflikteskalationsstufe der Zerstörung. Aber selbst dann sitzen hier zwei Menschen, die es verdienen, dass ihnen zugehört wird, um zu verstehen, warum der andere dort steht, wo er jetzt gerade ist. Es gibt auch ein würdevolles sich Trennen. Mit dem Spannungsfeld der Sünde und ihrer Folgen müssen wir als Einzelne und als Gemeinschaften leben. Perfekte Partnerschaften gibt es nicht. Eine Ehe ist vielleicht nicht mehr zu retten. Dann darf ich begleiten. Begleiten, um mit einer nicht mehr auflösbaren Situation (trotzdem) glücklich zu leben. Als Eheberater bin ich nicht verantwortlich für den gewählten Weg eines Paares. In solchen Situationen werden ethische Interessen vom Leben übersteuert. Oder nach W. Veeser: „Jeder hat das Recht, die Folgen seines Handelns selber erleben zu dürfen“.
Kommunikation ist spannend. Gerade auch in der Beratung mit Paaren. Im Gegensatz zur Einzelberatung reagiert hier der Partner – verbal oder nonverbal – auf die Aussagen des Erzählenden. So hat jede „Geschichte“ 3 Seiten: „Meine. Deine. Und wie es wirklich ist.“ Wenn jeder bei seiner Wahrheit bleibt und sich nicht selbst hinterfragt, laufen wir alle immer wieder Gefahr, Interpretationen, Hypothesen und Projektionen zu folgen. (Buchempfehlung: «Die Wahrheit beginnt zu zweit» von Michael Lukas Moeller) Eine klare, unmissverständliche Kommunikation nimmt den Spielraum für Interpretationen, die zu Fallstricken in der Beziehung werden können. Tragfähige Beziehungen lernen Konfliktfähigkeit: Sie handeln Lösungen aus (gesunde Streitkultur) und finden so Wege, die für beide lebbar sind. Sie schliessen Kompromisse, indem sie lernen, das Bedürfnis des Partners zu begreifen und darauf so gut wie möglich zu reagieren (soziale Kompetenz). Jeder Partner bringt seine Bedürfnisse und Wünsche transparent ein. Wir einigen uns auf gegenseitige Vereinbarungen, d.h. schliessen soziale Verträge ab. Wir vereinbaren Ziele und wachen darüber, dass diese verbindlich eingehalten werden. Der Eheberater kann da zum wertvollen Fürsprecher der gemeinsamen Abmachungen werden.
Verschiedenartigkeit ist kein Scheidungsgrund. Die soziale Kompetenz entscheidet mit, ob Ehe gelingt. Viel mehr als die Verschiedenartigkeit. Die Bibel erklärt den Zusammenhang von Hand und Fuss in 1. Korinther 12 sehr eindrücklich. Dabei wird das eine nicht zum anderen. Zusammen bilden die Beiden aber eine wertvolle Ergänzung. Die Ausbildung zum Eheberater eröffnete mir da neue Horizonte: „Jeder hat ein Recht auf seine eigenen Gefühle, Bedürfnisse, Wünsche und Forderungen. Keiner hat jedoch das Recht auf die Erfüllung seiner Forderungen. Wird dies akzeptiert, ist auch klar, dass in einer Partnerschaft nicht alle Differenzen ausgeräumt und nicht alle Konflikte gelöst werden können. Je mehr sich die beiden Partner aber einander mitteilen und je besser sie die Gefühle und Bedürfnisse des anderen verstehen, desto eher können Unterschiedlichkeiten in den Bedürfnissen und Empfindungen akzeptiert werden und desto stabiler und für beide befriedigender wird die Beziehung sein.“ (aus: Soziale Kompetenz kann man lernen; BELTZ-Verlag, Hinsch/Wittmann; Seite 133).
Das stimmt mich hoffnungsvoll: Verschiedenartigkeit ist Bestandteil einer Ehebeziehung. Bereitschaft zur Veränderung ist die Basis für jede (Ehe)Beratung. Ich kann meine Haltung, Gesinnung ändern. Hingegen kann ich die – von Gott geschaffene – Persönlichkeit mit ihren Begabungen und auch Begrenztheiten nicht ändern. Bis zu einem gewissen Grad kann ich mein Verhalten ändern. Bezogen auf Ehe- und Paarberatung gilt es somit, ein vollständiges JA zu finden für die Persönlichkeit meines Partners. Ja, vielleicht ist das für mich eine wahrhafte Zumutung! Aber ich will bedenken, dass ich vielfach (manchmal gar fortwährend) für andere eine Herausforderung bedeute. Diese Grundhaltung lehrt mich, das Gegenüber zu lieben, das so ganz anders ist als ich selber. Verändern kann ich immer nur mich selber. Daran darf ich arbeiten, gerade auch zum Wohl meines Partners. Ich bin eingeladen, mich zu verändern (gerade auch in der Beziehung zu Gott), aber nicht ICH verändere meinen Partner. Er oder sie muss nicht so werden, wie es mir genehm ist. Seine und meine Bestimmung ist dann erfüllt, wenn wir zu einer eigenständigen Persönlichkeit werden, die in Beziehung zum Gegenüber leben kann. Gelingende Beziehungen basieren immer auf:
- Ich werde wertgeschätzt, anerkannt und gelobt.
- Ich erfahre Zuwendung; jemand zeigt Interesse an mir.
- Vertrauen und Zutrauen
Meine Art Beziehungen zu leben, wird massgebend geprägt von meiner Herkunftsfamilie, meiner Erziehung und meinem sozialen Umfeld. Was dieser wertvolle und reichlich gefüllte Lehrgang ebenfalls miteinbezieht ist meine sexuelle Lerngeschichte. Wie hat sich die Sexualität bei mir entwickelt? Wie kam Sexualität in mein Leben? Meine ersten sexuellen Erfahrungen? Wie ging meine Familie mit dem Thema Sex um? Welche Bilder, Vorstellungen, Erfahrungen und Gefühle verbinde ich damit? Im Beratungsverlauf ist stets die Freiheit da, nicht darüber zu sprechen. Aber als Anwalt für die Beziehung darf ich dafür werben, über diese Bereiche zu reden. Es kann der Beziehung hilfreich sein. Denn Bilder, die ich bisher nicht einordnen konnte, bleiben und gehen nicht einfach automatisch weg. Sie lösen Gefühle aus. Alle kennen Themen, die wir je nach Herkunftsfamilie oder kirchlichem Kontext „schweigsam“ umgehen: Selbstbefriedigung, Orgasmus, Umgang mit Lust und sexueller Hingezogenheit, Pornografie, Scheidung und Wiederverheiratung, Ehebruch, Sex als Unverheirateter, Sexualität und Genderfragen. Dieser Lehrgang wagte es, „heikle“ Themen aus den „unheiligen Hallen“ zu holen und entdramatisiert ins menschliche Leben zu stellen. Das tut so gut und ist befreiend.
Jeder Mensch braucht positive Erfahrungen im Hier und Jetzt. Wir dürfen herauskommen aus lähmenden Fixierungen des „so und so muss es sein“. Eheberatung bietet Raum, über all‘ das zu reden. Sexualität darf angstfrei und positiv erlebt werden. Versagen in der Partnerschaft schmerzt, muss aber nicht der Schlusspunkt sein.
Vor kurzem war ich an einer Trauung von zwei jungen Menschen. Sie formulierten ihr Eheversprechen frei nach ihrem Gutdünken. Sie hatten sich unabhängig voneinander vorgängig darüber Gedanken gemacht. Es war offensichtlich, dass sie schon einige Konflikte bis zu diesem Ja-Wort durchgestanden hatten. Dieses Erlebnis wurde mir zum Bild: Es geht nicht darum, einfach ein JA zu geben auf eine mir von einer Drittperson gestellte Frage. Sondern es ist notwendig, dass ich eine eigene Sprache des Herzens finde, die ehrlich, authentisch ist und bei meinem Partner ankommt. Diese Sprachfähigkeit benötigt der Trauakt und jeder folgende Tag des Abenteuers namens Ehe. Dabei kann eine Eheberatung eine Hilfe sein.
„Nicht, was ich als schön empfinde, liebe ich. Sondern, was ich liebe, ist schön für mich!“ Diese Aussage des Philosophen und kath. Theologen Johannes Hartl aus seinem Referat „Die Kunst eine Frau zu lieben“ ist passend, wenn es um Aus- und Weiterbildung im Bereich Eheberatung geht. Persönlich habe ich das 9 Tage dauernde Seminar im Sommer/Herbst 2020 besucht. Die 2 x 3 Kurstage im Ländli Oberägeri und drei einzelne eintägige Supervisionstreffen mit Monika Riwar und Wilfried Veeser sind unvergesslich für mich. Es war motivierendes Coaching für die Tätigkeit als Eheberater. Diese „besondere Kunst“ habe ich mir zuvor nicht zugetraut. Und unter uns gesagt, es ist auch anwendbar für die persönliche Ehebeziehung! Zusammen mit 10 anderen Teilnehmer/innen (davon 5 Männer) stellten wir uns herausfordernden „heissen Eisen“, die eine Partnerschaft fordern und bereichern. Und: Wir haben auch viel geschmunzelt und gelacht. Meist dann, wenn man bei einem pointierten Praxisbeispiel sich selber erkannte oder wenn die schon fast akrobatikartigen Vermeidungs-, Ausweich- oder Ersatzverhalten in unseren oft allzu menschlichen Beziehungsdynamiken uns überführten. Oder war es ein Lachen, um nicht zu weinen?
Ich bin begeistert über das mir vermittelte Wissen und die Tools in dieser Weiterbildung. Darum fällt es mir nicht schwer, dir das entsprechende Seminarangebot ab November 2023 zu empfehlen. Mehr dazu findest Du auf der Webseite.
Stephan Schürpf, Berater bcb