Wir sagen manchmal, dass wir einen Verlust überwinden müssen. Vielleicht geht es beim Trauern weniger darum, den Verlust zu überwinden, sondern vielmehr darum, ihn anzunehmen.
Der Verlust eines geliebten Menschen verändert für Angehörige und Freunde nicht nur die Welt, sondern auch sie selbst. Wir sagen dann von der betroffenen Person: Sie ist in Trauer! Was macht es so schwer, Abschied zu nehmen von einem lieben Menschen, dass es uns fast das Herz zerreisst? Erkenntnisse der Neurobiologie helfen uns, besser zu verstehen, was passiert.
 
Wir alle kennen die ansteckende Wirkung von Lachen oder Gähnen eines anderen. Dieses Phänomen heisst interpersonelle, also zwischenmenschliche Resonanz. Wenn uns die gute oder auch gedrückte Laune eines anderen ansteckt, werden wir tatsächlich selbst in eine gute oder gedrückte Laune versetzt werden – unsere Befindlichkeit verändert sich. Oder wir sehen, wie sich jemand den Finger verletzt, und empfinden selbst eine Art Schmerz. Das Auftreten eines Menschen löst in unserem eigenen neuronalen Netzwerk eine Resonanz aus. Hierfür sind insbesondere die sogenannten Spiegelneuronen verantwortlich. Resonanz ist mehr als ein Echo: Resonanz ist eine Veränderung in uns selbst. Die Mitteilung von Wertschätzung – verbal oder nonverbal – führt zu einer sofortigen positiven Aktivierung, Mitteilung von Geringschätzung tut das Gegenteil.
 
Sind wir mit einem Menschen verbunden, findet nicht nur situativ Resonanz statt, sondern es geht einen Schritt weiter: Die Vorstellungen, die wir von einem nahestehenden Menschen haben, sind neuronal sehr eng verbunden mit dem sogenannten «Selbstnetzwerk». Das sind die Bereiche unseres Gehirns, in denen die Überzeugungen über unsere eigene Person und unser Selbst-Erleben abgespeichert sind[1]. Nahestehende, uns wichtige Menschen, sind als neuronale Verknüpfungen ins eigene «Selbst» eingewoben: Sie sind ins «Selbst» integriert. Die Neurobiologie spricht hier von einer Überlappung neuronaler Repräsentanzen der eigenen Person mit nahestehenden, uns wichtigen anderen Menschen. Mit anderen Worten: Wir sind mit dem Menschen wortwörtlich verbunden.
 
Was bedeutet dies für unser Thema? Wenn wir einen nahestehenden Menschen verlieren, verlieren wir jede zwischenmenschliche Resonanz mit dem geliebten Menschen und einen Teil von uns «Selbst». Dieser Schmerz wird nicht innerlich-seelisch, sondern bis hinein ins körperliche Erleben empfunden. Jemand sagte: Es ist, wie wenn ein Teil von mir selbst abgeschnitten worden wäre. Es ist ein Loch in mir, mein Herz blutet.
 
Die betroffene Person ist in das hineingeworfen worden, was wir Trauer nennen. Trauer ist nicht bloss ein Gefühl, sondern ein Zustand, der sich in einem Prozess wandelt. Dieser Prozess ist eigentlich ein Wunder: Dass wir Menschen solche Verluste annehmen und wieder gesunden können. Trauer ist der Weg, auf dem wir schrittweise lernen, den Verlust so ins Leben zu integrieren, dass der Schmerz «abklingen» kann und wieder Raum für neue Lebenserfahrungen entstehen. Diese werden Teil unseres Selbstverständnisses. Wie genau dieser Weg gestaltet wird, ist sehr individuell. Doch schliesslich findet die Erinnerung an die geliebte Person einen neuen Platz, quasi eine neue Verknüpfung mit uns «Selbst», und wir werden fähig, uns auf eine neue Art dem Leben wieder zuzuwenden.

[1] Vgl. J. Bauer: Das empathische Gen. Freiburg i. Breisgau 2021, S.55f.

Monika Riwar, Referentin und fachliche Leitung

 

An der Seite von Trauernden

Wie können trauernde Menschen konkret unterstützt werden? Monika Riwar, Ausbildnerin und Supervisorin, und Milena Stoll, Trauerbegleiterin, sensibilisieren für dieses wichtige Thema und geben Hilfen an die Hand, um Menschen durchs Trauertal zu begleiten. Ein Seminartag aus der Praxis für die Praxis!
Samstag, 21. Oktober 2023, Aarau

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